Was versteht man unter Co-Abhängigkeit?

28.08.2023 |

Eine Abhängigkeitserkrankung betrifft nicht nur den Erkrankten – auch Angehörige und Freunde können leiden. Was man unter einer Co-Abhängigkeit versteht und was Betroffenen hilft, erklären wir hier.

Eine Substanzabhängigkeit hat nicht nur einen enormen Einfluss auf das Leben des Betroffenen, sondern auch auf dessen Angehörige, Freund*innen und Partner*innen, sodass es häufig zu einer Co-Abhängigkeit kommt. Der Begriff der Co-Abhängigkeit tauchte das erste Mal in den 1940er Jahren in den USA auf und bezog sich ursprünglich auf Angehörige von Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit (AOK).
Co-Abhängigkeit bezieht sich auf eine dysfunktionale Beziehungsdynamik, in der eine Person dazu neigt, die Bedürfnisse, Gefühle und Verhaltensweisen einer anderen Person über ihre eigenen zu stellen. Diese Beziehung kann in verschiedenen Kontexten auftreten, wie zum Beispiel in Familien, Partnerschaften oder Freundschaften. Oft zeigt sich Co-Abhängigkeit in der Unterstützung von Menschen mit Suchterkrankungen, aber sie kann auch in anderen Situationen auftreten, in denen ein Ungleichgewicht in der emotionalen Verbindung besteht (Beattie, 1987; Mellody, Miller, & Miller,  1989).
Eine wissenschaftlich anerkannte Definition von Co-Abhängigkeit gibt es allerdings nicht, sodass diese Verhaltensweisen nicht als Störung im ICD 11   (weltweit anerkanntes System, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden)  aufgeführt werden.

Wie äußert sich eine Co-Abhängigkeit?


Co-Abhängigkeit zeigt sich durch eine Reihe von charakteristischen Merkmalen:
1. Übermäßige Opferbereitschaft: Co-abhängige Personen neigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Interessen zu vernachlässigen, um die Bedürfnisse der anderen Person zu erfüllen.
2. Kontrollverlust: Co-abhängige Personen versuchen oft, die Kontrolle über die Gefühle, Handlungen und Entscheidungen der anderen Person zu übernehmen, um deren Wohlbefinden zu gewährleisten.
3. Geringes Selbstwertgefühl: Co-abhängige Personen machen häufig ihren Selbstwert von dem Wohlwollen und der Zustimmung der anderen Person anhängig, was zu einer schwerwiegenden Selbstwertproblematik und einem instabilen Selbstbild führen kann.
4. Angst vor Konflikten: Co-abhängige Personen vermeiden oft Konflikte um jeden Preis, um die Beziehung aufrechtzuerhalten, selbst wenn das eigene Wohlbefinden gefährdet ist (Parnell, 2007).

Co-Abhängigkeit von Substanzen


Bei der Entwicklung einer Co-Abhängigkeit von substanzabhängigen Menschen lassen sich häufig drei Phasen beobachten, die aber nicht zwingend von allen Betroffenen   durchlaufen und in der gleichen Intensität erlebt werden.
Zunächst kommt es zur Beschützerphase, in der dem  oder der Betroffenen von der co-abhängigen Person Verständnis, besondere Zuwendung und Mitgefühl entgegengebracht wird. Nach außen werden Erklärungen und Entschuldigungen gesucht, um das Verhalten der abhängigen Person  zu erläutern und zu legitimieren.
In der Kontrollphase übernimmt meist der*die co-abhängige Partner*in die Kontrolle über das Leben des  Betroffenen, seine Verpflichtungen und Probleme, worunter auch die alltäglichen Aufgaben, wie die Fürsorge für die Kinder fallen. Dadurch scheint die Leistungsfähigkeit der Betroffenen nach außen oft noch lange Zeit gegeben und  z.B. die Alkoholabhängigkeit kann so vor Dritten länger verheimlicht werden. Der Umgang mit Alkohol kann bei Co-Abhängigen von Lösungsversuchen, wie zum Beispiel dem Wegschütten von Alkoholvorräten, bis hin zum Besorgen neuer Vorräte reichen, was u.a. vom Zustand und Verhalten des*r Betroffenen abhängt. 
In der Anklagephase empfinden die co-abhängigen Partner*innen häufig Verachtung, Aggression oder sogar Ekel für den*die Betroffene*n. Es kommt zu Vorwürfen und Schuldzuweisungen, Hilflosigkeit und teilweise auch zur Trennung (Thiel, 2006).

Was sind die Folgen einer Co-Abhängigkeit?

Eine Co-Abhängigkeit kann sowohl für den * die Betroffene*n  der Substanzabhängigkeit als auch für den*die Co-Abhängige*n selbst schwerwiegende Konsequenzen haben. Der*die Betroffene  hat zunächst keinen Grund, seinen Substanzmissbrauch zu ändern oder nimmt diesen nicht als solchen wahr. Die Abhängigkeit bleibt ohne Folgen und der*die Betroffene  muss sich nicht mit ihr auseinandersetzen. 
Die co-abhängige Person stellt die eigenen Bedürfnisse zurück und leidet durch die ständige Sorge und die täglichen Belastungen u.a. an emotionaler Erschöpfung. Häufig kommen Existenzängste hinzu, wenn die Abhängigkeit einen Einfluss auf die Arbeit des*r Betroffenen  und das Einkommen des Haushalts hat. Das Vernachlässigen der eigenen Bedürfnisse kann zudem zu einer geringeren Lebensqualität und Unzufriedenheit führen. Die Suche nach Anerkennung von anderen kann zu einem Teufelskreis werden, der das Selbstwertgefühl weiter untergräbt.
Nicht zu unterschätzen ist ebenfalls, dass die Beziehungen mit Personen mit Substanzabhängigkeit vermehrt von Gewalt und Missbrauch geprägt sind. Substanzkonsum kann die Eigen- und Fremdgefährdung deutlich erhöhen. 
Psychisch können sich diese Faktoren beispielsweise in einer Depression oder Angstzuständen manifestieren, doch auch körperliche Folgeerscheinungen wie Magenerkrankungen, Migräne und Kopfschmerzen können auftreten. (AOK; Mellody, Miller & Miller, 1989).

Was kann ich tun, wenn ich co-abhängig bin?


Ein wichtiger Schritt ist es, sich selbst die Substanzabhängigkeit des*r Partners*in  einzugestehen und darüber zu sprechen, die gefühlte Verantwortung für den*die Betroffene abzugeben und sich um die eigene Gesundheit zu kümmern.
Unterstützung können Suchtberatungsstellen und Selbsthilfegruppen bieten oder das Gespräch mit dem Hausarzt. 
Beratungsstellen für Co-Abhängige sind:
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): https://www.dhs.de/
CoDA Deutschland (Co- Dependents Anonymous): https://www.coda-deutschland.de/
Anonyme Alkoholiker für Angehörige (Alcoholics Anonymous Family Groups): https://al-anon.de/


Quellen
1. Beattie, M. (1987). *Codependent No More: How to Stop Controlling Others and Start Caring for Yourself*. Hazelden Publishing.
2. Mellody, P., Miller, A. W., & Miller, J. K. (1989). *Facing Codependence: What It Is, Where It Comes from, How It Sabotages Our Lives*. HarperOne.
3. Parnell, L. (2007). *A Therapist's Guide to Understanding Co-Dependency*. Routledge.
4.   Hörauf, W. (2016): Alkohol in der Familie: Im Spannungsfeld von Co-Abhängigkeit und Resilienz. Akademische Verlagsgemeinschaft München AVM, S. 54
5. Co-Abhängigkeit: Definition, Merkmale, Hilfe (aok.de)
6. Thiel, H., Jensen, M., Traxler, S. (2006). Psychiatrie für Pflegeberufe. Elsevier, Urban&Fischer, S. 160